»Alle Teilnehmer sind an eine unserer Beratungsstellen angedockt«, erklärt Monika Köhler, Leiterin der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) der Diakonie Erlangen. Gemeinsam mit Verena Zepter von der Caritas hat sie das Projekt mit großem Einsatz aufgebaut. Meist kämen viele Problemlagen zusammen, zum Beispiel materielle Armut, beengte Wohnverhältnisse und die psychische Erkrankung eines Elternteils. »Wir kennen jede Familie gut und betreuen sie über Jahre hinweg«, so die Sozialpädagogin. Sie gehe davon aus, dass sich der Bedarf nach solchen Maßnahmen durch die Corona-Pandemie noch deutlich verstärke. Der Termin für 2021 steht daher schon fest. Dieses Jahr wird eine Notlösung umgesetzt: Jede Familie wird zum »Heinershof« bei Höchstadt eingeladen – einzeln und nur für einen Tag, aber mit dem gleichen Konzept der Kinderbetreuung und Schulung der Eltern.
Familien stärken
Eine Woche lang geht es für die Teilnehmenden der Bildungswoche mit der ganzen Familie in die Jugendherberge nach Pottenstein in der Fränkischen Schweiz. Die Familien könnten sonst gar nicht zusammen wegfahren, weiß Köhler, weil schlicht das Geld fehle. Talente und Potentiale sowohl von Eltern als auch von Kindern würden in bildungsfernen Familien oft nicht erkannt oder gefördert. »Die Familien haben andere, existenzielle Sorgen.« Durch das erlebnispädagogische Programm bei der Projektwoche entdecken die Kinder ihre eigenen Fähigkeiten und entwickeln ein gesundes Selbstwertgefühl. Die Familien backen am Lagerfeuer Stockbrot, gehen zusammen im Niedrigseilgarten klettern, machen eine Nachtwanderung. Schwerpunkte für die Eltern sind gesunde Ernährung, Haushalten mit wenig Geld und vieles mehr. »Wir bringen ihnen auch bei, die eigene Kommunikation wahrzunehmen und zu verändern und stärken ihre Erziehungskompetenzen«, zählt Köhler auf. Aber auch Yoga und Erste Hilfe stehen auf dem Plan.
Während der Schulungen werden die Kinder betreut, sodass die Erwachsenen mal selbst an erster Stelle kommen. »Sie saugen wirklich alles auf und sind unheimlich dankbar für das Angebot«, beobachtet Köhler. Die gemeinsame Woche sei oft sehr intensiv. In den Einzelberatungen platze manchmal etwas auf, was lang verdrängt wurde.
Offenheit unter den Teilnehmenden
Alle zwei Jahre wird die Gruppe behutsam vom Leitungsteam zusammengestellt. Bereits aufgebaute, sichere Beziehungen unter den Teilnehmenden aus den Vorjahren wirke sich sehr positiv auf die Arbeit mit den Familien aus, weiß Ilona Schwertner-Welker vom Projektpartner »Marte Meo«. Sie arbeitet mit den Teilnehmenden während der Bildungswoche in Pottenstein an psychologisch-pädagogischen Themen wie Familie, Erziehung, Partnerschaft oder Selbstfürsorge. »Ich bin immer wieder begeistert, wie schnell sich die Gruppe zusammenfindet und sich gegenseitig unterstützt.« Gemeinsam erarbeiten die Teilnehmenden Problemlösungen und berichten im Laufe der Woche von den eigenen Erfahrungen und Erfolgen. »Im Vordergrund steht das eigene selbstwirksame Handeln.« Die Gruppenmitglieder dienten einander als Vorbildfunktion. »Die Arbeit auf Augenhöhe ist uns besonders wichtig«, so Schwertner-Welker. Jede/r einzelne werde als Experte seiner Situation gesehen. Während der Bildungswoche könne man sich auf einer grundlegenden menschlichen Ebene begegnen und Alltagssituationen, zum Beispiel beim Mittagessen oder beim Spieleabend, gemeinsam erleben.
Vertrauen gegenüber fremder Hilfe
Das Vertrauen und die Wertschätzung sei aber nicht nur untereinander groß, sondern nehme auch gegenüber anderer zu: »Die Teilnehmer sind nach der Bildungswoche besser in der Lage, Hilfen anderer Netzwerkpartner aktiv in Anspruch zu nehmen«, beobachtet die Diplom-Psychologin. Die Hemmschwelle, sich professionell helfen zu lassen, sinke. Einige Teilnehmende kämen nach der Bildungswoche etwa zu ihr in die kostenfreie psychologische Einzelberatung des Deutschen Kinderschutzbundes Erlangen e.V. Denn sie hätten während der Maßnahme gemerkt, wie wirksam die Tipps der Profis seien. Vor allem, wie schnell das allgemeine Stresspotential innerhalb der Familie schon nach kleinen Veränderungen sinke.
»Auch die Kinder lernen, ihre Probleme besser zu benennen«, erklärt Monika Köhler von der KASA. Dadurch nähmen sie selbst zum Beispiel als Jugendliche leichter Unterstützung der Beratungsstellen an. »Sie spüren, dass da Menschen sind, die ihnen Gutes wollen.« Die KASA könne helfen, die richtige Hilfe zu finden, etwa durch die Ambulanten Erzieherischen Hilfen, das Persönliche Budget oder die Tafel. Es sei unheimlich schwer, alleine aus dem System der Benachteiligung herauszukommen.
Katja Engelbrecht-Adler, Familienbeauftragte des Landratsamtes Erlangen-Höchstadt, unterstützt »Fit für Familie«: »Es ist das Anliegen des Bündnisses für Familie, die Lebensqualität für Familien zu stärken und dazu gehört insbesondere, sich um die Familien zu kümmern, die sozial am Rande stehen.« Die Lebensumstände sozialer Benachteiligung aufzubrechen erfordere, passende Angebote für diese Zielgruppe zu schaffen. Durch die Bildungswoche sei es in den letzten Jahren gelungen, Familien zu erreichen, die davor keine offenen Angebote genutzt hätten.
Keiner kommt zu kurz
Harmut F. und Julia S. (Namen geändert) sind zusammen mit ihren Kindern eine echte Patchwork-Familie. Sie haben sich bei der Projektwoche in Pottenstein kennengelernt, sind inzwischen ein Paar und leben zusammen. Beide bekamen über die Schuldnerberatung die Möglichkeit, an der Maßnahme teilzunehmen.
Am meisten gebracht habe Hartmut F. der Kurs »Wirtschaften mit wenig Geld«. »Die Experten erklären das Bürokratendeutsch für Normalos.« Der ehemals Selbstständige schleppte die Schulden aus einer Geschäftsauflösung lange mit sich rum, sah zeitweise keinen Ausweg mehr. »Ich war fix und fertig«, erinnert sich der 45-Jährige. Aber so wollte er nicht weitermachen und ein Brief von der Stadt hatte endgültig seine Alarmglocken ausgelöst. Eine Beratung half ihm nach und nach. Das Dranbleiben lohnte sich: 2009 durfte er zusammen mit seinen Söhnen erstmals zur Bildungswoche nach Pottenstein fahren. »Ich dachte damals, ich bin der Einzige mit solchen Problemen«, gesteht er seine Scham. Durch die Offenheit der Familien untereinander falle es ihm jetzt leichter, über seine Schwierigkeiten zu reden. Das musste er aber erst lernen. Harmut hat heute wieder einen Job und ein festes Einkommen.
Auch Julia S. weiß, wie es ist, mit wenig Geld auskommen zu müssen. Nach der Trennung von ihrem Ex-Partner hat sie regelmäßig auf Unterhaltszahlungen warten müssen. »Das Geld hat hinten und vorne nicht gereicht«, erinnert sich die 40Jährige. Sie war auf sich allein gestellt. Es fehlte an Unterstützung, damit sie mal rauskommt, und so Leute kennenlernt – ein geschlossener Kreislauf. An der Bildungswoche in Pottenstein mag sie besonders, dass man hier Gleichgesinnte trifft, Kontakte knüpft und sich gegenseitig unterstützt – auch nach der Maßnahme. Und: »Hier kann ich mal nur ›ich‹ sein und an mir selber arbeiten«, denn die Kinder wisse sie gut versorgt. »Das ist wie Unterricht oder Arbeit«, beschreibt Julia S. das umfangreiche Angebot. »Es geht mir viel besser, seit ich die Hilfe zulasse«, gibt Julia S. zu. Es tue gut, sich auszutauschen und Parallelen mit anderen zu sehen.
Für die Kinder bedeutet die Woche Platz zum Spielen, Bewegung an der frischen Luft, Abenteuer. »Die Kids fragen immer, wann endlich wieder Pottenstein ist«, lacht Harmut F., »das ist der Wahnsinn für sie, wie Urlaub – endlich mal.« Bei der Bildungswoche komme keiner in der Familie zu kurz.
Damit es die Projektwoche »Fit für Familie« auch in Zukunft geben wird, bittet die Diakonie Erlangen um Spenden.
Weitere Informationen erhalten Sie im Spendenflyer.
Spendenkonto
Diakonie Erlangen
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Stichwort: Familien stärken